Datengetriebener Ansatz für digitale Innovation bei Mobimeo

Juli 20, 2023
5 min
Photo: Stocksy
Die Corona-Pandemie hat sich auf fast alle Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens ausgewirkt. Auch mit Blick auf die Mobilität hat die Krise für noch nie da gewesene Verhältnisse gesorgt und Entwicklungen beschleunigt, die sich sonst wahrscheinlich erst in einigen Jahren realisiert hätten. Mobility-as-a-Service (MaaS) kann eine Lösung für Mobilitätsanbieter sein, um mit den Folgen der Pandemie umzugehen.
Alltagsmobilität besteht aus zwei wesentlichen Komponenten - dem physischen Produkt wie dem Zug, der U-Bahn oder dem Bus und dem digitalen Produkt, also der Mobilitäts-App für den Zugang zu verschiedenen Mobilitätsmodi. Beide sind grundverschieden, vor allem, was ihre jeweilige (Weiter-)Entwicklung anbelangt. Doch die Fahrgäste und Nutzer:innen differenzieren nicht zwischen physischem und digitalem Produkt, sondern erwarten ein einheitliches Produkterlebnis. Um mit diesem “Mismatch” umgehen zu können, ist es wichtig zu verstehen, wie grundlegend unterschiedlich physische und digitale Produkte entwickelt werden. Die verschiedenen Teams bei Mobimeo stellen sich dieser Herausforderung und suchen nach Lösungen, die sich an den Bedürfnissen der Nutzer:innen orientieren.

Autorin: Chandrika Rana, Werkstudierende bei Mobimeo

Dieser Artikel basiert auf einer Präsentation, die Peter Zöll, Product Lead der Search and Routing Domain bei Mobimeo, auf der polisMOBILITY 2023 in Köln gehalten hat. Peter und sein Team unterstützen Mobimeo bei der Verwirklichung der Vision, den Verkehr in den Städten umzugestalten, indem sie sich eingehend mit den drei entscheidenden Elementen von Mobilitätsapps - Information, Navigation und Updates - auseinandersetzen.

 

Die Entwicklungszyklen physischer und digitaler Produkte 

Um uns dem Produktentwicklungsprozess bei Mobimeo zu nähern, werfen wir einen Blick in die Vergangenheit - zurück in eine Zeit, in der niemand auch nur an die Gründung unseres Unternehmens dachte. 1992 kam mit dem Motorola International 3200 das erste digitale Mobiltelefon auf den Markt, bei dem die gesamte Telefontechnik im Handapparat steckte. Mobiltelefone haben seither eine rasante Entwicklung zurückgelegt, wie sich am Beispiel des neuesten iPhone 14 Max zeigt. Es wiegt kaum die Hälfte des sperrigen, 520 Gramm schweren Motorola International 3200 und verfügt zugleich über modernste Software mit völlig neuen Funktionen. Digitale Produkte wie das Mobiltelefon – heute Smartphone – haben in diesen 30 Jahren viele Evolutionsschritte durchlaufen, was sich in einer raschen Folge immer neuer Modelle zeigt. 

Bei den meisten physischen Produkten war das jedoch nicht der Fall. Nehmen wir zum Beispiel die Berliner U-Bahn. Die am weitesten verbreitete Zugbaureihe der U-Bahn – bekannt als „A3L92“ - kam zwar im selben Jahr heraus wie das Motorola International 3200, ist aber immer noch im Einsatz und weist gegenüber damals kaum sichtbare Veränderungen auf.

Wenn wir heute über Mobilität sprechen, dann beginnt die User Journey nicht mit dem Einsteigen in eine Bahn und dem Verlassen der Station. Dank der starken Verbreitung und Akzeptanz von Smartphones und Apps beginnt der digitale Teil der Fahrt vielmehr schon mit der Routenplanung und der Buchung der Verkehrsmittel. Und je nach Funktionsumfang wird die App sogar zum Begleiter für unterwegs und informiert die Nutzer:innen über den richtigen Bahnsteig, die Optionen bei Störungen und vieles mehr. Wenn digitales und physisches Produkt unter derselben Marke vermarktet werden, dürften die Nutzer:innen den krassen Unterschied zwischen digitalem und physischem Teil des Angebots schon bald bemerken: Einerseits verwenden sie eine App, die kontinuierlich auf ein bestmögliches Nutzendenerlebnis hin optimiert wird, und andererseits fahren sie in einem Fahrzeug, dass sich immer noch nach 1992 anfühlt und das der Logik und dem Lebenszyklus eines klassischen Industrieprodukts gehorcht. Dennoch werden beide Produkte derselben Marke oft mit derselben Erwartungshaltung bewertet. So gibt es unter unseren 500.000 monatlichen Nutzer:innen auch immer wieder ein paar Stimmen, die ihren Unmut über Verspätungen und fehlende Informationen äußern - obwohl wir keinen einzigen Zug fahren. Und genau hier kommen Peter und sein Team ins Spiel. Sie entwickeln das digitale Produkt weiter, indem sie Timing, Präzision und Qualität der Informationen optimieren, die unsere Nutzer:innen über ihre Fahrten erhalten. So sorgen sie für eine stetige Verbesserung des Nutzendenerlebnisses. Natürlich können sie das kognitive Mismatch zwischen dem digitalen und dem physischen Produkt nicht auflösen. Dennoch könnte ein besseres Verständnis der Unterschiede diese Lücke überbrücken. 

 

Double Diamond und Segmentierung nach Mindsets 

Unser Ausgangspunkt ist ein fünfstufiger Produktentwicklungsprozess aus Entdecken (Discover), Definieren (Define), Entwickeln (Develop), Liefern (Deliver) und Weiterentwickeln (Evolve). Dieser auch als Double Diamond bezeichnete Prozess ermöglicht es den zuständigen Teams, nicht nur grundlegende Bedarfe zu ermitteln, die eine neue Lösung oder ein neues Produkt erfordern, sondern diese auch aus Sicht der Nutzer:innen zu verstehen und zu lösen. Ähnlich wie bei einem klassischen Industrieprodukt berücksichtigen unsere Teams auch Marktforschung und erstellen auf dieser Grundlage eine Hypothese. Die ständige Zusammenarbeit und Abstimmung von verschiedenen Teams - User Research, Product, Quality Assurance, Product Analytics und Design - führt letztendlich zu nutzungsorientierten digitalen Lösungen, die kontinuierlich bearbeitet und verbessert werden. Eine wichtige Weiterentwicklung unseres Research-Ansatzes in den letzten Jahren ist die Mindset-Segmentierung. Dabei werden die Anforderungen der verschiedenen Nutzer:innen anhand der Ähnlichkeiten ihrer Bedürfnisse für die Fahrt gebündelt, anstatt Einzelpersonen anhand ihrer Profile zu Gruppen zusammenzufassen, wie dies beim Personas-Ansatz der Fall ist. Personas liefern in der Marktforschung wichtige Details über verschiedene Gruppen von Personen, die bestimmte Produkte auf eine bestimmte Weise nutzen. Allerdings können die Menschen je nach Tageszeit und Situation verschiedene Einstellungen - Mindsets - haben, und Mindsets erlauben einen besseren Einblick in die Bedürfnisse und Prioritäten unserer Nutzer:innen. Während „be on time“ für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) am relevantesten ist, bilden die vier Mindsets - „be on time“, „leisure on time“, „break the routine“ und „be spontaneous“ - die breitere Basis für die Entwicklung unserer Produkthypothese.

 

Welchen Ansatz verwenden wir für User Research? 

Um die Vielseitigkeit der verschiedenen Mindsets zu nutzen, verwenden wir unser Format „Insights Train“, bei dem wir jede Woche die aktuellen Screens unserer Apps mit fünf Nutzer:innen testen und neue Ideen und Konzepte vorstellen, die das Nutzendenerlebnis bereichern können. So können wir optimale Änderungen an den App-Funktionen vornehmen und herausfinden, ob und wie die Nutzer:innen bestimmte App-Funktionen weiter nutzen möchten. Obwohl das regelmäßige Feedback aus der User Research dazu beiträgt, die App zu verbessern, zeigt sich auch, dass dies oft nicht mit der tatsächlichen Nutzung übereinstimmt. Das Product Analytics Team untersucht daher die tatsächliche Nutzung der App, indem es sein Augenmerk auf bestimmte Abläufe in der App-Nutzung richtet. Ein interessantes Beispiel hierfür ist die Verwendung von Buttons in einer App. Um dies zu analysieren, muss man herausfinden, wann und wo die Buttons angeklickt werden und wie viel Zeit der oder die Einzelne für die Routensuche von A nach B benötigt. Ein weiteres Beispiel ist das Senden und Empfangen von Benachrichtigungen auf dem Smartphone während der Fahrt. Durch die Verbesserung der Standortermittlung und der Internetverbindung während der U-Bahn-Fahrten stellt das Quality Assurance Team sicher, dass die Funktion so gestaltet ist, dass die Nutzer:innen zeitkritische Informationen erhalten, während sie noch online sind.

 

Wie wird User Research genutzt und angewandt?

Die Bemühungen unserer zusammenarbeitenden Teams münden in den „Release Train“. Das ist der Rhythmus, der alle zwei Wochen zur Veröffentlichung einer neuen Produktversion führt. Verschiedene Teams nutze die Insights der User Research, wie z.B. aus dem Insights Train. Dazu kommen die Insights des Data Analytics Teams und die aus der Quality Assurance. All diese Erkenntnisse werden dann im Rahmen von Features im Release Train veröffentlicht. So erhalten unsere Nutzer:innen alle zwei Wochen eine neue Version ihrer App, die entsprechend den Erkenntnissen aus diesen zwei Wochen optimiert ist. 

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Alltagsmobilität als Produkt heute eine untrennbare digitale Komponente hat, da Nutzer:innen niemals zwischen dem digitalen und dem physischen Produkt derselben Marke differenzieren werden. Daher ist Produktentwicklung ohne User Research und Product Analytics nicht möglich. All dies geschieht hinter den Kulissen des eigentlichen Produkts, das die Nutzer:innen erleben. Für sie spielt es keine Rolle, wer was tut. Wichtig ist nur das „Wann“ und der wichtigste Zeitpunkt ist das „Jetzt“. 

 

Zusammenfassung

  • Fahrgäste und Nutzer:innen unterscheiden nicht zwischen dem physischem und dem digital Produkt und erwarten eine konsistente Produkterfahrung 
  • Das Produkt “Alltagsmobilität” funktioniert nur mit einer digitalen Komponente
  • UX Research und Data Analytics sind essentielle Bestandteile der Produktentwicklung
  • Es gilt nicht nur, das Produkt stetig weiterzuentwickeln, sondern auch die Research-Methoden; es gibt nicht nur das eine Research Format für alle Unternehmen

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