„Wie ist die internationale Perspektive auf MaaS, Arman?“

April 7, 2022
4 min
Die Corona-Pandemie hat sich auf fast alle Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens ausgewirkt. Auch mit Blick auf die Mobilität hat die Krise für noch nie da gewesene Verhältnisse gesorgt und Entwicklungen beschleunigt, die sich sonst wahrscheinlich erst in einigen Jahren realisiert hätten. Mobility-as-a-Service (MaaS) kann eine Lösung für Mobilitätsanbieter sein, um mit den Folgen der Pandemie umzugehen.
Mobility-as-a-Service (MaaS) ist ein Schlagwort, das ganz unterschiedlich ausgelegt wird - je nachdem, wer es benutzt. Für Mobimeo als Anbieter einer MaaS-Plattform ist es Teil unserer DNA. Deshalb möchten wir das Thema aus verschiedenen Perspektiven analysieren und zeigen, was es für uns bedeutet. In einer Serie mehrerer Interviews befragen wir interne Expert:innen zu ihrer persönlichen Sicht auf MaaS. Als Unternehmen, das seinen Sitz in Deutschland hat, konzentrieren wir uns im ersten Schritt auf den deutschen Markt. Trotzdem gibt es viele Wechselwirkungen mit internationalen Entwicklungen. Deshalb haben wir mit unserem Kollegen, dem Product Owner Arman Fathejalali, darüber gesprochen, inwiefern sich der deutsche und der internationale MaaS-Markt unterscheiden.

Wie reif ist der deutsche MaaS-Markt?

Ein Markt gilt als reif, wenn er sowohl die Einführungs- als auch die Wachstumsphase der Marktentwicklung durchlaufen hat. In der Reifephase sind Umsatz und Gewinn hoch, die Kosten je Kunde sind am niedrigsten und es gibt eine stabile Anzahl von Wettbewerbern, die meist seit Jahren etabliert sind. Betrachtet man MaaS-Plattformen aus einer reinen Marktperspektive, so haben der deutsche und der europäische Markt das Reifestadium noch nicht erreicht. Obwohl die ersten MaaS-Lösungen schon 2016 auf den Markt kamen (z. B. in Helsinki), stehen wir noch am Anfang des Marktwachstums. Es gibt weiterhin viele neue Unternehmen, die weitere Produkte und Dienstleistungen im Zusammenhang mit MaaS ausprobieren und von der steigenden Nachfrage profitieren wollen. Auch nach den Prognosen von PWC Strategy& dürfte der europäische MaaS-Markt in den nächsten Jahren erheblich wachsen. 

In der nächsten Zeit werden wir sicherlich Konsolidierungen und andere Entwicklungen erleben, die den Markt beeinflussen werden. Die nutzer:innenfreundlichsten, innovativsten und leistungsfähigsten Produkte werden andere Angebote verdrängen. Deutschland und Europa (und auch einige asiatische Länder) könnten hinsichtlich der Marktreife die Nase vorn haben, einfach weil sich MaaS in Europa früher etabliert hat. Wenn ich mir diese Voraussetzungen und die aktuellen Entwicklungen anschaue, sehe ich, dass MaaS noch viel Potenzial hat, sich zu entwickeln und zu wachsen - sowohl in Deutschland als auch weltweit. 

 

Was sind die wesentlichen Unterschiede zwischen MaaS in Deutschland und in anderen internationalen Märkten?

Wir müssen uns vor Augen halten, dass das MaaS-Ökosystem komplex ist, da es aus einer Vielzahl von Akteuren besteht. Dazu gehören die öffentliche Verwaltung, Verkehrsbehörden und -betreiber, private Mobilitätsdienstleister, Technologie- und Datenanbieter sowie Anbieter von MaaS-Plattformen und Branchenverbände. Natürlich sind auch die Nutzer:innen ein wichtiger Akteur, denn ohne sie gäbe es kein MaaS. Angesichts eines derart komplexen Ökosystems ist es schwierig, die wichtigsten Unterschiede zwischen all diesen Akteuren zu skizzieren, wenn man die regionalen Unterschiede (innerhalb eines Landes oder länderübergreifend) und die technischen Unterschiede in Betracht zieht. 

Wenn wir uns nur auf die öffentlichen Verkehrsunternehmen konzentrieren, können wir einen wesentlichen Unterschied zwischen Deutschland und anderen internationalen Märkten feststellen. In Asien beispielsweise betreiben Unternehmen, die Verkehrsmittel und Immobilien in großem Maßstab anbieten, die öffentlichen Verkehrssysteme. In Nordamerika sind es meist kommunale Verkehrsbetriebe, die den öffentlichen Nahverkehr betreiben. 

In Europa und Deutschland hingegen ist der Betrieb von Nahverkehrssystemen aufgeteilt zwischen staatlichen und privaten Unternehmen, die häufig staatlich bezuschusst werden. Dies ermöglicht es einerseits den öffentlichen Verkehrsbetrieben, ihren Fahrgästen ein einheitliches Leistungsniveau zu bieten. Andererseits bedeutet es, dass die Strategie der öffentlichen Verkehrsbetriebe kurzfristig von der Politik beeinflusst werden können.

 

Welcher Zielzustand ist für den deutschen MaaS-Markt bis 2025 vorstellbar?

Die Entwicklungen im Verkehrssektor im Allgemeinen (nicht nur in Deutschland) sind eng mit politischen Entscheidungen verbunden. Bei Prognosen für das Wachstum des deutschen MaaS-Marktes ist entscheidend, dass es in den einzelnen Bundesländern unterschiedliche Regelungen für diesen Markt gibt. Aufgrund der großen Bedeutung von nachhaltigen Mobilitätskonzepten für die Erreichung politischer Ziele wie z. B. die Verkehrswende und des Potenzials von MaaS, die Erreichung dieser Ziele zu ermöglichen, erwarte ich, dass wir in den nächsten Jahren mit weiteren - auch branchenfremden - Unternehmen rechnen können, die ihre Lösungen auf den deutschen Markt bringen. 

Der Erfolg von MaaS-Lösungen hängt in hohem Maße von dem Wert ab, den sie für die Nutzer:innen bieten (Integrationsstufe): 

  • Stufe 1: Integration von Informationen, die den Nutzer:innen einen multimodalen Reiseplaner und detaillierte Preisinformationen bieten 
  • Stufe 2: Integration von Buchung und Bezahlung, so dass die Nutzer:innen eine einzige App für die Suche, Buchung und Bezahlung ihrer Reisen verwenden können
  • Stufe 3: Integration von Diensten, die auf der Grundlage der Nutzungsbedürfnisse zu Paketen/Abos und maßgeschneiderten Angeboten zusammengefasst werden 

Jede dieser Stufen erfordert die Standardisierung von Daten, den Zugang zu und die (gegebenenfalls regulierte) Verfügbarkeit von Daten, offene Anwendungsprogrammierschnittstellen (APIs) und flexiblere rechtliche Rahmenbedingungen. Noch stehen wir in all diesen Bereichen vor großen Herausforderungen. Die Integration der Stufe 1 ist schon heute vielfach umgesetzt. Darüber hinaus haben wir bereits Lösungen entwickelt, die eine Integration auf Stufe 2 ermöglichen, darunter unsere multimodale Mobility Stuttgart App der S-Bahn und die Apps des Projekts Mobility inside (Mi) der deutschen Mobilitätsbranche, das wir als Technologiepartner unterstützen. Leider gibt es bis heute keine Beispiele für die Umsetzung der Stufe 3. Ich bin zuversichtlich, dass wir bis 2025 viele Entwicklungen in dieser Richtung sehen werden – und wir freuen uns darauf, ein Teil dieser Entwicklungen zu sein! 

 

Wer profitiert am meisten von leistungsstarken MaaS-Lösungen?

Die Nutzer:innen profitieren auf jeden Fall unmittelbar von einer guten MaaS-Lösung. Je nach Integrationsstufe haben sie eine größere Auswahl, sie können Geld sparen und bequemer von A nach B kommen. Personalisierte Mobilitätsangebote werden eine immer größere Rolle spielen, da die Menschen ganz unterschiedliche Anforderungen an individuelle Mobilität stellen. Darüber hinaus gibt es für mich noch eine größeren Vorteil von MaaS: die Auswirkungen des neuen Mobilitätsverhaltens werden allen Menschen zugute kommen - in Form von grüneren und lebenswerteren Städten!

 

Der Interviewpartner

Arman Fathejalali ist seit 2020 bei Mobimeo. Als Product Owner treibt er die Weiterentwicklung unserer Live Navigation für den Öffentlichen Personennahverkehr voran. Arman hat zu einem Stadtplanungsthema promoviert und ist mit den internationalen Entwicklungen rund um die urbane Mobilität bestens vertraut.

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